Vor etwa drei Monaten berichtete Kevin über das besondere Design der Speisekarte der Bar „Schnelle Liebe“ in München.
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In den Kommentaren kritisierte „PickAName“ das Format der Speisekarte und auch ich hatte damals Bedenken bezüglich der Schriftgröße und der Lesbarkeit.
Wie es der Zufall wollte, bin ich derzeit in München und besagte Bar ist nur wenige Minuten von meiner Bleibe entfernt. Die Chance habe ich also genutzt, um mir die Speisekarte mal im Original anzusehen und einem Praxistest zu unterziehen.
Design und Bezug zur Bar
Die erste Schwierigkeit war, überhaupt mal einen Platz zu bekommen. Der Laden besteht eigentlich nur aus einem großen Tresen, ein paar wenigen sehr kleinen Tischen und, bei gutem Wetter, einigen Bierbankgarnituren auf dem Gehweg. Die „Schnelle Liebe“ scheint sehr beliebt zu sein, da es fast immer bis auf den letzten Platz voll ist, auch abends unter der Woche.
Angeboten werden zum Essen Burger, Salate, Pastagerichte und Sandwiches. Zum Trinken gibt es alles, was man in so einer Bar erwarten würde. Wer sich für die Details intessiert, findet hier die komplette Speisekarte, allerdings nicht im aktuellen Design.
Es wird Wert drauf gelegt, dass die Speisen gesund und natürlich zubereitet werden und es viele vegetarische Gerichte gibt.
Der Laden wirkt modern-alternativ und wird überwiegend von Leuten im Alter von 20 bis Mitte 30 besucht. Etwas verallgemeinernd könnte man es auch als etwas schickere Studentenbar bezeichnen.
Ein großer Unterschied zu anderen Speisekarten fällt einem schon auf, sobald man die Karte in die Hand nimmt.
Sie besteht aus ungestrichenem Naturpapier.
Ich vermute, dass man sich dafür entschieden hat, da man den Eindruck von Natürlichkeit und Bodenständigkeit aufgreifen wollte, wofür Naturpapier ja eigentlich auch keine schlechte Idee ist. Eventuell wollte man sich auch ganz bewusst von den normalerweise gestrichenen oder irgendwie in Plastik verpackten Speisekarten abgrenzen, die man normalerweise gewohnt ist.
Sollten dies die Beweggründe gewesen sein und da nicht irgendwelche anderen Argumente hinter stecken, ist dies ein großartiges Beispiel dafür, dass am tatsächlichen Nutzen „vorbeidesigned“ wurde. Warum Naturpapier keine besonders günstige Wahl ist, wenn es in Bereichen verwendet wird, wo auch Feuchtigkeit eine Rolle spielt, und das ist bei einer Bar, gerade mit Tischen im Außenbereich ja wohl der Fall, sieht man gleich beim ersten Blick auf dem Foto oben.
Die Dinger versiffen unglaublich schnell.
Sobald die auch nur ein wenig feucht werden, werden sie fleckig, wellig und, man darf mich an dieser Stelle gerne pingelig nennen, einfach eklig. Erst recht, wenn man bedenkt, dass es in dieser Bar auch Cocktails mit Milch oder Fruchtsäften gibt.
Ein weiterer Unterschied ist das Format. Normalerweise ist man Speisekarten eher in sehr schmalen Hochformaten oder in DinA4 gewohnt. Die Speisekarte von „Schnelle Liebe“ ist zugeklappt etwas kleiner als DinA6 quer.
In seinem Kommentar zum Beitrag von Kevin argumentiert PickAName:
„Flair und Anspruch eines qualitativ hochwertigen Restaurants lässt sich nur über ein großes Format repräsentieren [..]“
Sie oder er sagt aber auch, dass man sich das Format für ein Bistro eher vorstellen könnte. Dem stimme ich so zu und halte das Format daher auch für ziemlich gut gewählt. Man sitzt eh schon ziemlich nah beieinander, da ist es ganz gut, dass man nicht noch mit riesen Speisekarten hantieren muss. Das Angebot ist auch nicht so groß, als das es einem umfangreicheren Format bedurft hätte. Außerdem trifft die Beschreibung „Bistro“ viel eher zu als „Restaurant“.
Mir gefällt, dass sie so klein, handlich und kompakt ist.
Die Idee mit den Bildern gefällt mir eigentlich auch ganz gut. Sie vermitteln ein gewisses Flair, das die Atmosphäre in der Bar ziemlich gut trifft. Sie lockern die ansonsten sehr streng gestaltete Karte deutlich auf.
Ich weiss nicht genau warum, aber ich blätter Speisekarten fast immer von hinten auf. Keine Ahnung warum. Jedenfalls war ich in diesem Fall kurz überrascht, da plötzlich alles auf dem Kopf stand.
In der Karte sind die Getränke von den Speisen getrennt, indem die jeweils hintere Hälfte der Karte gegenüber der vorderen auf dem Kopf steht. So hat man, je nachdem von welcher Seite aus man die Karte öffnet, entweder eine Speise- oder eine Getränkekarte, die man je nach Bedarf umdrehen muss.
Ob sowas nun unbedingt notwendig ist oder nicht eher son hippes „Wollt ich schon immer mal machen“-Designer-Ding, sei mal dahin gestellt. Einen wirklichen praktischen Nutzen hat es nicht, aber es ist eine nette Idee, die einen kurz verdutzt, wenn man nicht den Hinweise auf der Vorderseite gelesen hat. Da steht nämlich:
„STARVING?! FLIP THIS PAGE
NEED A DRINK TURN THIS THING UPSIDE DOWN“
(s. erstes Foto)
In dem Kommentar von PickAName wurde auch die Typografie kritisiert:
„Die Schrift ist 100%ig zu klein gedruckt, um für die Augen angenehm zu sein.“
Auch ich hatte Bedenken, ob das mit der Schrift so hinhaut.
Während meines Praxistests habe ich dann festgestellt, dass die Schriftgröße gar kein Problem ist. In Ermangelung eines Typometers schätze ich die Schriftgröße der kleinsten Elemente auf irgendwas zwischen 8 und 10 Punkt. Von der Größe her sollte die Schrift also gut lesbar sein.
Etwas problematischer ist die Wahl der Schrift. Serifenlose, sehr schmale Schriften mit sehr geringen Strichstärken sind ja derzeit schwer in Mode und auch nicht per se ungeeignet. Schwierig wirds allerdings, wenn der gesamte Name des Essens oder des Getränks dann in Versalien gesetzt ist.
Wenn nun die Abstände zwischen den Buchstaben noch in etwa so groß gewählt werden, wie die Abstände einzelner Balken innerhalb der Buchstaben, z.B. beim „A“ oder beim „H„, entsteht dem Auge schnell der Eindruck von senkrechten Linien anstatt von zusammenhängenden Formen und man sieht einer ein Gittermuster denn Worte.
Ich sag nicht, dass man die Namen nicht lesen könnte, aber hier stand wieder eindeutig das Design über dem Nutzen.
Es gibt allerdings noch einen Punkt, der das Lesen erschwert.
Auf den von Kevin geposteten Bildern sieht es so aus, als wäre die Schriftfarbe ein sehr dunkles Grau und das Papier weiß.
In der Realität ist das Papier nun allerdings ein gelblich-graues Naturpapier. Auch sind nur die Wörter in Versalien wirklich schwarz. Die restliche Typo ist grau, wobei die ganz kleinen Absätze nochmal ein Stück heller sind als die mittleren.
Die Kritk an der Auswahl der Schrift wäre ja nich zu verschmerzen, denn man will sich ja schließlich nur sein Essen bzw. Getränk aussuchen und keinen Roman lesen. Wenn man allerdings hellgraue Schrift auf hellgraues, grobporiges Papier druckt, und dabei berücksichtigen muss, dass die Karten überwiegend bei etwas schummrigen und farbigen Licht in einer Bar gelesen werden, ist die Gestaltung der Typografie ziemlich zweifelhaft.
Fazit
Es fällt auf, dass bei der Gestaltung der Speisekarte vor allem Wert aufs Design gelegt wurde. Der praktische Nutzen der Karte spielte nur eine untergeordnete Rolle, wichtig war die Optik.
Auch wenn ich sonst eher ein Freund des Grundsatzes „Form follows function“ bin, finde ich das für eine Bar wie „Schnelle Liebe“ sogar in Ordnung. Die Bar zielt auf ein Publikum, dessen Geschmack die Gestaltung der Karte treffen dürfte.
Auch wenn die Speisekarte ein wichtiges Element des „Corporate Designs“ einer Bar ist, sollte man sie meiner Meinung nach auch nicht überbewerten. Die Lesbarkeit könnte besser sein, allerdings ist sie auch nicht so übel, als das man nichts bestellen könnte.
Der einzige Punkt, der mich wirklich stört, ist das versiffte Naturpapier. Ich denke, wenn man das einfach durch weißes gestrichenes Papier ersetzen würde, wären die meisten von mir kritisierten Punkte auch schon gelöst, da gestrichenes Papier nicht ganz so anfällig gegen Feuchtigkeit ist. Auch die Lesbarkeit der grauen Schrift wäre auf einem weißen Hintergrund gleich deutlich besser. Auf den Bildern, die Kevin gepostet hat, sieht es auch so aus, als sei das ursprünglich mal so angedacht gewesen.
Allen Münchnern oder denen, die es nach München verschlägt, rate ich, zu versuchen da mal einen Platz zu bekommen. Die „Schnelle Liebe“ liegt in der Thalkrichner Straße, fast direkt an der Haltestelle „Sendlinger Tor„. Die Bedienungen sind nett, die Cocktails lecker und die Preise nicht grade Schnäppchen, aber für diese Ecke auch nicht unüblich.
Dienstag, 16. Oktober 2012 um 19:42
Klasse Arne, vielen vielen Dank für den Praxistest!! 🙂